Weine nicht, ich sterbe nur! … von Sylvia Raßloff

“Ich hoffe, dass du irgendwann einfach müde wirst von diesem Leben, weil jeder Tag hier ein bisschen dunkler wird und deine Seele wegfliegt, wenn du träumst. Dass du in meinen Armen einschläfst und ich diesen Funken Erleichterung ganz tief in mir spüren werde, weil es gut ist. Dass du mir eines Tages sagen wirst: Weine nicht, ich sterbe nur! Wir sehen uns wieder, auf den grünen Wiesen dort, wo unser aller wahres Zuhause ist. Wo alles so leicht ist und wir wieder jung…“ (Sylvia Raßloff)

Sylvia Raßloff, Expertin für Tierkommunikation, Tierpsychologin und Therapeutin für Energetische Verfahren, schrieb für uns den sechszehnten Artikel unserer Reihe Abschied für länger: Das Leben, die Liebe und der Tod. Sie findet wunderbare Worte für das, was wir alle kennen: Die Angst vor dem Abschied, vor dem Unausweichlichen und  vor der Leere danach. Wir wünschen Euch besinnliche Momente und gute Inspirationen beim Lesen dieses bewegenden Textes …


Es ist Freitag der dreizehnte. Es ist kurz nach zwölf und der letzte Termin, den wir bekommen konnten. Ich stehe hier in der Tierklinik an einen Metalltisch gepresst, um dich zu halten, und schaue in deine Augen. Dein Blick in diesem Moment, trifft mich mitten in die Seele.

Starr schaust du mich an, hilfesuchend, voller Angst:

„Solange du da bist, ist alles gut.“
Solange ich da bin.
„Ich bin doch hier.
Alles ist gut, meine Maus.
Alles wird gut.
Ich bin ja da.“

Das sage ich immer wieder in Gedanken zu dir, unsere Blicke ganz fest aneinander geheftet und ich bekomme gar nicht mit, was um uns herum geschieht. Und plötzlich, plötzlich spüre ich diesen Stich im Herzen, der durch Mark und Bein geht. Plötzlich habe ich diese Bilder vor Augen, die Gedanken im Kopf, diese Erinnerung, diese Vorahnung und diese Angst, dass es genau so sein wird, irgendwann oder heute? Wird es so sein? Völlig unverhofft, als Notfall, „plötzlich“, dass ich dich anschaue und dir unter Tränen sage, dass alles gut ist, während ich dich halte. Und du vertraust mir, dass ich nur das Beste für dich entscheide, dass alles gut wird, während ich mit den Tränen kämpfe. Und dem Mut, diesem verzweifelten Mut, den ich irgendwo hervorzukramen versuche. Irgendwie zu vertrauen, dass ich hier, in diesem Moment das Beste tue: über Leben und Tod zu entscheiden.

Liebe wird aus Mut gemacht:

Füreinander dazusein, immer und durch alle Zeiten. Besonders am Ende des Weges werden wir ihn brauchen, um sie zu tragen, wenn ihre Beine versagen. Um sie zu halten und stark zu sein, so wie sie es für uns getan haben, ein Leben lang! Der Tod sitzt auf unserer linken Schulter. Ab irgendwann oder ganz plötzlich.
„Und plötzlich sind sie alt?“ Nein, nicht plötzlich, doch wir versuchen die kleinen Zeichen zu ignorieren, das Unausweichliche weit von uns zu schieben, solange es geht. Die grauen Härchen im Gesicht oder ist es nur das Licht? Acht Jahre bist du jetzt bei uns. Zwei oder gar vier Jahre, man weiß es nicht genau, waren deine Vergangenheit, die nicht so schön war, bevor du zu uns kamst. Acht Jahre! Wo sind sie hin? Acht Jahre! Es klingt so lang: Acht Sommer und acht Winter dagegen machen schmerzhaft bewusst, wie schnell sie im Strudel des Lebens verflogen sind.

Bereits, wenn wir ein Tier zu uns holen, wissen wir, dass es uns nicht unser Leben lang begleiten wird. Doch für all das, was sie uns geben – die Bereicherung, mit Tieren zu leben – sind wir bereit, unsere Herzen zu verschenken. Wohl wissend, dass sie gebrochen werden, irgendwann. Irgendwann! Aber doch noch nicht jetzt? Wir hatten doch zu wenig Zeit! Wir wollten doch noch so viel machen, so viel erleben, so viel genießen… und zusammen sein. Egal, wie viele Jahre es sind, es ist immer zu früh, denn die Zeit mit unseren Lieben verstreicht genau so, wie unser eigenes Leben. Leise, unbemerkt anfangs, doch die Uhr hängt da über der Tür! Sie tickt, unaufhaltsam. Daneben der Spruch: „Das Leben ist zu kurz, um Träume immer wieder auf Irgendwann zu verschieben“ Ich muss schlucken und es schmeckt bitter, während plötzlich so vieles bewusst wird. Ja, wir denken immer, wir hätten noch Zeit, bis wir einen Weckruf bekommen. Wir selbst oder für unsere Tiere, noch bevor wir überhaupt Zeit hatten, alt zu werden. Uns vorzubereiten und die Wege langsamer zu gehen, während die Berge steiler werden. Innezuhalten und Zwiegespräche zu führen. Uns zu erinnern, wortlos in des anderen Augen zu versinken und uns vorzubereiten: Für die Zeit danach.

Sylvia und Filli

Sylvia Raßloff mit ihrer Filli

Ich könnte tausende Geschichten aufschreiben.

Von Menschen und Tieren, mit denen ich gesprochen habe: Vorher, während und danach! Es sind so viele, die sich nicht verabschieden konnten. Die schlimmsten Abschiede sind die, die es gar nicht gab. So viele Leidensgeschichten: Gekämpft, gehofft, verloren, viel zu früh oder einfach zu spät? Das Ringen um den richtigen Zeitpunkt. Auch die, wo es Probleme gab während des Einschläferns. So viel unendliches Leid und zu oft bleibt ein Meer aus Tränen, so viel Schmerz, so viele Fragen. „Habe ich alles richtig gemacht? War es zu früh? War es zu spät? Kannst du mir verzeihen?“ Doch dies ist unsere Geschichte, jetzt, hier, in diesem Moment, den wir alle irgendwann erleben werden und niemand weiß, wann es sein wird. Irgendwann ist es zu spät oder wir zu schwach, um all das nachzuholen, was wir nicht lebten. Nein, der Tod kommt nicht irgendwann plötzlich. Wir sterben jeden Tag ein kleines Stück. „Gib jedem Tag die Chance, etwas Besonderes zu sein.“ Wir wissen es, und doch wird es uns oft erst bewusst, wenn es zu spät ist. Ja, ich habe meinen Schneemann vergessen, den aus längst vergangenen Tagen, und das Lachen, viel zu oft. Doch immer warst du da, still an meiner Seite und Du schautest mich oft an, während ich mich so oft selbst vergaß. Stille Dialoge: „Ja, ich weiß…“ hab ich so oft zu dir gesagt. Du hast mich so Vieles gelehrt, auch das Lachen und mit dir zusammen wieder Kind zu sein. Immer warst du da für mich, für uns, durch alle Zeiten, einfach immer! „Wir werden ihnen nie all das zurückgeben können, was sie für uns tun, aber wir sollten es zumindest versuchen.“ Habe ich dich glücklich gemacht? All das erfüllt, was du dir für dein Leben wünschtest? Ich weiß, dass Ihr Tiere so liebevoll, so bedingungslos seid, dass wir euch oft wichtiger sind, als Ihr selbst. Dass Ihr keine Grenze zieht zwischen euch und uns, dass unsere Gefühle immer auch eure sein werden, unser Glück immer auch eures. „Waren wir zusammen genug glücklich?“ Bis jetzt? Heute? Hier?

„Einmal noch…“

Das ist der Titel eines Textes, den ich schrieb für diese Zeit. Das Gefühl, danach, wenn diese innigste aller Bitten nicht mehr erhört wird. Einmal noch, das würden wir uns wünschen, die Zeit zurückzudrehen und alles nochmal intensiver zu erleben. Einmal noch die Nase in deinem Fell zu vergraben, deinen Geruch zu riechen. Einmal noch! Und wir erinnern uns, wie oft wir „Später… Nicht jetzt!“ gesagt haben. Wie oft wir keine Zeit hatten und so Vieles versäumten. Einmal noch! Doch das Leben hat keinen Rückwärtsgang, es kann so schnell vorbei sein, so schnell, zu spät. Und es ist das Schwerste von allem! Der Abschied von unseren Tieren! Weil sie immer für uns da waren, als treueste und beste Freunde, uns begleiteten, durch Dick und dünn. Jeden Weg mit uns gegangen sind, ohne zu zögern, ohne zu fragen. Uns immer geliebt haben, bedingungslos und so unperfekt, wie wir eben sind. Weil sie uns so nah sind, wie niemand sonst in unserem Leben. Weil sie uns kennen, unsere tiefsten Gefühle, unsere schwächsten Momente und uns alles, aber auch alles verzeihen. Weil sie uns verziehen haben, dass wir nur menschlich sind. Weil sie uns den Moment erleben lassen, ins Hier und Jetzt katapultiert, mit einem Lachen. Ja, sie sind Meister des Augenblicks und an manchen Tagen der Grund, überhaupt aufzustehen. Weil sie immer da sind, uns so viel Trost und so viel mehr geben. So viel mehr für uns tun, als die meisten Menschen in unserem Leben. Weil sie uns niemals verletzen und immer nur gut sind, besser oft als wir. Weil sie uns zurückführen zu uns selbst und weil wir so viel von ihnen lernen können, wenn wir bereit sind, ihnen zuzuhören. Über das, was das Wichtigste ist im Leben: Liebe zu geben!

Es sind die ohne Schuhe

Sie sind das Beste, was uns je passieren konnte, höre ich so oft, und es stimmt. Es sind die ohne Schuhe, die uns niemals enttäuschen und uns all das geben, was unbezahlbar ist. Irgendwann kommen sie in unser Leben. Vielleicht, weil wir ewig Suchende sind, weil wir spüren, dass etwas fehlt. Und sie verändern alles! Sie füllen eine Leere in uns, von der wir nicht wussten, dass wir sie hatten. Sie lassen diesen Teil unserer Seele erwachen und verändern uns, für immer. Wer jemals ein Tier geliebt hat, für den wird ein Leben ohne niemals mehr vollkommen sein.Ja, es ist das Schwerste von allem, irgendwann vielleicht über Leben und Tod entscheiden zu müssen. So stark zu sein, um das loszulassen, was wir am meisten lieben. Abschied und Sterben ist unsere größte Lernaufgabe. Denn der Abschied von unseren Tieren macht uns immer auch unsere eigene Endlichkeit bewusst. Am liebsten schieben wir diesen Gedanken weit weit weg von uns, hoffen, dass alles immer so weitergeht, wie es war. Doch wir müssen uns damit beschäftigen, ob wir wollen oder nicht. Denn niemand weiß, wann der Zeitpunkt ist, wann wir das Ticket in der Hand halten werden, zum Land hinter der Regenbogenbrücke und vielleicht ist es vorherbestimmt: im Buch der Seele geschrieben. Ich weiß, dass nicht wir es sind, die das entscheiden, und dass es etwas Größeres gibt, das uns alle auffängt: Unser aller wahres Zuhause, wo wir alle herkommen und wo wir wieder hingehen, wenn die Zeit gekommen ist, diesen Körper zu verlassen.

Werden wir – gemeinsam – das Rufen deiner Seele hören, wenn es soweit ist?

Werde ich mir genauso sicher sein, wie bei allen anderen Menschen und Tieren, die ich auf dem Schwersten aller Wege begleitet habe? Das frage ich mich, während ich hier stehe, neben dir. Wir haben noch einen Aufschub bekommen, Nachspielzeit sozusagen und ich sehe, wie sie dich herunterheben von diesem Tisch. Wie in Trance sehe ich das und ich kann mich noch gar nicht wieder richtig fühlen. Ich spüre nur, wie all die Anspannung, all die Angst, all das Stark sein für dich in mir heruntersackt. Ich bin müde und so unendlich erleichtert. Ich hoffe, dass du irgendwann einfach müde wirst von diesem Leben, weil jeder Tag hier ein bisschen dunkler wird und deine Seele wegfliegt, wenn du träumst. Dass du in meinen Armen einschläfst und ich diesen Funken Erleichterung ganz tief in mir spüren werde, weil es gut ist. Dass du mir eines Tages sagen wirst: “Weine nicht, ich sterbe nur! Wir sehen uns wieder, auf den grünen Wiesen dort, wo unser aller wahres Zuhause ist. Wo alles so leicht ist und wir wieder jung.” Dass du sagen wirst, dass unsere Liebe uns verbindet. Wie das Licht, dass ich sehen kann, wenn ich in den Himmel schaue und meine Augen dich verzweifelt suchen werden, so wie du heute meine. Und dass uns dieses Licht den Weg leuchtet, um uns wiederzufinden. Dass Seelen, die zusammengehören, sich nicht verlieren können, niemals.

Das hoffe ich, das du eines Tages zu mir sagst, was ich schon weiß: Dass die Angst aus deinen Augen gewichen ist, damit ich weiß, dass ich dich loslassen kann. Voller Vertrauen, weil es dort heller ist, und wärmer als hier. Ich weiß, es wird weh tun, unendlich weh. Du nimmst so viel mit, einen Teil von mir, so viel von meinem Leben. Alles wird leer sein, ohne dich. Kalt! Eine Leere, im Haus, im Herzen, im ganzen Leben. Eine Leere, die kein Mensch je ausfüllen kann. Nur Tiere können das! Ich weiß, dass die Trauer wie ein großer Felsbrocken ist, der uns anfangs zu ersticken droht. Doch wir hacken ihn Stück für Stück kleiner und irgendwann stecken wir uns die kleinen Brocken in die Tasche. Mal sind sie leichter und an anderen Tagen wieder schwerer. Erinnerungen, Augenblicke im Herzen, die uns mit der Ewigkeit verbinden: Dein Geruch, als wäre es gestern gewesen. Und ich wünsche mir, dass irgendwann der Tag kommt, wo ich auf der Suche nach dir wieder in den Himmel schaue und plötzlich neben mir eine Stimme höre: „Ich bin doch hier. Alles ist gut.“ Nein, wir können uns nicht verlieren!

Ich spüre, wie Tränen von meinen Wangen tropfen.

„Ohne sie hätte die Seele keinen Regenbogen,“ denke ich und wische sie weg. Es ist verrückt, sie schmecken immer gleich. Tränen der Trauer und Tränen des Glücks. Ich muss lächeln: Liebe wird aus Mut gemacht und gemeinsam können wir alles schaffen, auch loszulassen. Irgendwann! Wenn wir vertrauen, dass unsere Liebe den Tod überdauert, dass wir uns länger lieben dürfen, als leben zu können. Heute ist nicht der Tag und ich bin so dankbar, für jede Stunde, jede Minute, die du bei uns bist. So kostbar jeder Augenblick! Und ich möchte die ganze Welt umarmen und hinausrufen: „Lasst uns tanzen, solange uns die Füße tragen und glücklich sein!“ Jeder Tag ist ein Geschenk!

Ganz plötzlich habe ich es eilig. „Komm Maus, wir gehen nach Hause. Wir haben noch so viel vor.“

(Überarbeitet von Severine Martens – Alle Rechte bei Sylvia Raßloff)