Leben mit dem Tod … von Sophie Strodtbeck

„Nun bleibt mir nur, die Zugaben, die die Beagleoma mir schenkt, in vollen Zügen zu genießen und irgendwann den Augenblick nicht zu verpassen – auch wenn wir beide vertraglich vereinbart haben, dass das noch mindestens fünf Jahre dauert. Aber wer weiß, ob die demente Beagleoma sich noch an die Vertragsdetails erinnert? Und ich werde sie im richtigen Moment ziehen lassen, jedenfalls habe ich ihr das versprochen! Und eines ist sicher: meine Andra wird man niemals auf irgendeiner kitschigen Regenbogenbrücke antreffen, sie wird standesgemäß in die ewigen Jagdgründe übersiedeln.“ (Sophie Strodtbeck)

In unserer Reihe Abschied für länger: Das Leben, die Liebe und der Tod lesen wir von der Tierärztin und Fachbuchautorin Sophie Strodtbeck über einen Gast vor dem man seine Türen nicht verschließen kann und der immer seinen Weg findet, den Tod: „Ich habe akzeptiert, dass der Tod zum Leben gehört, wie der Schatten zum Licht und der Morgen zum Abend.“


Der Tod und ich sind inzwischen so was wie Freunde geworden,

oder zumindest gute Bekannte, auch wenn wir eine recht einseitige Beziehung führen. Er nimmt, ich gebe. Er war oft hier, vor knapp drei Jahren, und er hat immer einen Teil von meinem Leben mitgenommen. Er hat mehrfach in meinen Armen stattgefunden, wir waren uns sehr nahe. Zweimal waren es „nur“ Hunde, einmal die menschliche Liebe meines Lebens. Alles innerhalb von nur acht Wochen. Jedesmal kam er unerwartet, ist aus dem Nichts hier aufgeschlagen. Vor diesem Gast kann man die Türen nicht verschließen, er findet seinen Weg…
Früher habe ich immer gesagt, man muss seine Feinde kennen, um gegen sie kämpfen zu können, inzwischen habe ich meine Unterlegenheit eingesehen und das Kämpfen eingestellt. Ich habe akzeptiert, dass der Tod zum Leben gehört, wie der Schatten zum Licht und der Morgen zum Abend.

Sophie Strodtbeck

Lebensabschnittsgefährten

Meine Hündin Andra ist inzwischen gute 15 Jahre alt, und ich weiß, dass es irgendwann soweit sein wird. Aber ich weiß auch, dass sie ihr Leben bereits jetzt gelebt und verdammt viel erlebt hat. Seit einigen Jahren sehe ich alles, was jetzt noch kommt, als Zugabe, und es gibt schließlich Künstler, die bereits nach der halben Gesamtdauer eines Konzertes mit Zugaben beginnen… Und trotzdem wird das Konzert irgendwann zu Ende gehen, aber vielleicht ist es ja auch nur darum etwas Besonderes?

Ein Hund ist und bleibt ein Lebensabschnittsgefährte, und er wird – wenn alles gut läuft! – vor uns gehen.

Ich bin (meistens…) dankbar für die Zeit, die ich mit meinen Hunden verbringen darf, und das gilt für alle meine Hunde. Im Gegensatz zu anderen habe ich keinen Liebling, ich könnte mal den einen, und dann wieder den anderen auf den Mond schießen! Und möchte gleichzeitig keinen missen, weil wir eine eingeschworene Gemeinschaft sind, auch wenn es – wie in jeder WG – auch mal Zoff gibt.

Das Leben mit alten Hunden…

…gehört für mich zu einer der schönsten Phasen im Hundeleben! Klar ist vieles anstrengend, weil Alterszipperlein nicht ausbleiben, und weil die Demenz des Hundes für Mensch und Hund mühsam sein kann, aber man ist über die Jahre wirklich zu einem Team zusammengewachsen, dass sich – oft im wahrsten Sinne des Wortes – blind und taub versteht.

Und jeden Tag wird einem ein bisschen bewusster, dass die Zeit begrenzt ist, was sie umso kostbarer macht – wie das mit Zugaben eben so ist.

Im Hause Strodtbeck gibt es für die Senioren ein festes Ritual, und das besteht darin, die gemeinsame Zeit bewusst zu nutzen. Auf neudeutsch würde man wohl „quality time“ sagen. Inzwischen ist es nicht mehr das türkische Dönertier, sondern Beagleoma Andra, die soweit irgendwie möglich, jeden Abend 20 Minuten bekommt, in denen die „Jugend“ Auszeit hat, und sie alleine im Rampenlicht steht. Das ist ja auch das Mindeste, was einer Künstlerin, von der man Zugaben verlangt, zusteht! Entweder bekommt sie eine Massage, oder wir machen Tricks oder Dummyarbeit, die sie immer noch liebt, oder wir gehen einfach eine Runde alleine spazieren. Das sind die Momente, in denen mir bewusst wird, wie kostbar die Zeit ist, die wir miteinander haben. Denn auch wenn mich mein Leben gelehrt hat, dass ein plötzlicher Abschied für immer jederzeit der Fall sein kann, weil der Tod sich eben nicht anmeldet, so steigt die Wahrscheinlichkeit dafür im Alter dann doch. Und nichts fände ich schlimmer, als damit leben zu müssen, die gemeinsame Zeit nicht genutzt zu haben…

Gehen lassen

Aber ich weiß, dass ich jeden meiner Hunde gehen lassen werde, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Das bin ich ihnen schuldig! Und durch meine Bekanntschaft mit dem Tod habe ich vielleicht nochmal besser gelernt, zuzuhören. Ich weiß – auch aus Praxiszeiten – dass sie uns sagen, wenn sie nicht mehr mögen oder können. Und damit meine ich nicht, dass ein alter Hund mal nicht mehr spazieren gehen möchte oder einen Tag nichts frisst. Ich meine das, was sie uns wirklich sagen, wenn es soweit ist. Wie sie das sagen, kann ich gar nicht genau beschreiben, aber es kommt irgendwann der Tag, an dem klar ist, dass es Zeit ist zu gehen, der Tag, an dem man nicht mehr nachfragen sollte. Vielleicht hat es mit Intuition zu tun, vielleicht mit einem anderen Blick des Hundes? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass viele Hunde im Moment des Abschiedes sehr ruhig und gelassen sind, meine alte Türkin, das Dönertier, war ihr Leben lang jedes mal hysterisch, wenn ihre Unversehrtheit in Gefahr und ihre Verletzlichkeit groß war. Nicht so an dem Tag, an dem sie beschlossen hat, zu sterben. Sie war ruhig und entspannt, und sie gab mir das Gefühl, dass es okay und an der Zeit ist. Das hat es mir leichter gemacht, dafür bin ich ihr dankbar! Und ich glaube, dass ich es ihr leichter gemacht habe, weil ich ihr ganz klar „gesagt“ habe, dass es in Ordnung ist, wenn sie uns jetzt verlässt. Auch das ist übrigens eine Erfahrung, die ich bei vielen Hunden gemacht habe: das Sterben ist leichter, wenn man losgelassen wird.

Tiere haben uns Menschen gegenüber einen großen Vorteil: Sie wissen nicht, wie lange sie noch leben könnten, was sie alles verpassen. Das macht das Sterben sicherlich auch einfacher.

Wütend machen mich Menschen, die nicht loslassen können, weil der eigene Egoismus über dem Wohl des Tieres steht. Man kann durchaus ein oder zwei oder auch mehrere Gedanken daran verschwenden, ob es besser ist, ein altes Tier in Narkose zu legen, um es sanft einschlafen zu lassen, oder um es noch einmal einer heftigen OP mit Schmerzen und mühsamer Rekonvaleszenz zu unterziehen, die oft nur ein paar Lebensmonate mehr bringt. Leiden bedeutet für mich nicht der Tod, sondern das Leben unter inadäquaten Bedingungen. Lebensqualität geht vor Lebensquantität! Mit einem Tag, einer Woche oder einem Monat zu früh, kann ich gut leben, aber auch nur eine Stunde zu spät könnte ich mir nicht verzeihen. Das sehe ich übrigens für mich selbst auch so, und das ist einer der Gründe, warum ich mich, nachdem ich lange in einem Pflegeheim gejobbt habe, für das Tier- und gegen das Humanmedizinstudium entschieden habe.

Wissen sie es?

Ich glaube nicht nur, dass unsere Hunde uns sagen, wann es soweit ist, sondern auch, dass sie es wissen. Zumindest glaube ich das bei vielen alten Hunden. Auch hier schöpfe ich unter anderem aus meinen Erfahrungen mit meinem Dönertier. Sie starb, wie so viele alte Hunde, an einem geplatzten Milztumor. Bis zum Tag ihres Todes war der Tumor unentdeckt und sie absolut symptomfrei, es ging ihr gut. Und trotzdem kam sie in der Nacht, bevor sie starb, das erste mal seit vielen Jahren nicht nur ins Schlafzimmer, sondern wollte auch im Bett schlafen, was sie sonst nie tat. Ich wunderte mich zwar, schob es aber auf meinen derzeitigen Zustand, war ich doch nach wie vor gelähmt vor Trauer um meinen Freund. Inzwischen weiß ich, dass es das nicht war, sondern bin fest davon überzeugt, dass es die Nacht unseres Abschieds war. Sie wusste es, da bin ich ganz sicher! Und es passte auch zur Ruhe, die sie am nächsten Tag innehatte. Seither denke ich viel darüber nach, ob Tiere sich auch in diesem Zusammenhang noch mehr „Instinkt“ bewahrt haben als wir Menschen? Das Dönertier war auch sonst ein sehr ursprünglicher Hund, das war wohl das Erbe ihres Daseins als „Streetfighterin“ in der Türkei. Aber ich weiß, auch aus der Zeit im Pflegeheim, dass es auch Menschen gibt, denen bewusst ist, dass das Ende naht. Vielleicht, weil sie es zulassen?

Abschied nehmen lassen

Ein Aspekt, den ich im Zusammenhang mit dem Tod von Tieren und / oder Menschen ganz wichtig finde ist, die Möglichkeit, sich zu verabschieden.

Die Szenen, die sich nach dem Tod meines Lebensgefährten hier abgespielt haben, werde ich niemals vergessen! Als Notarzt, Sanitäter, Polizei, Nachbarn etc nach 90 Minuten vergeblichen Kampfes endlich wieder gefahren sind, habe ich die damals fünf Hunde, die ich weggesperrt hatte, wieder raus gelassen, und sie haben sich der Größe nach aufgereiht (was sicherlich Zufall war) in einem halben Meter Abstand neben den toten Menschen auf dem Fußboden aufgestellt. Sie standen da mindestens eine Minute lang ganz ruhig, die einzige Bewegung war ein sehr sanftes Wedeln ihrer tief getragenen Ruten. Dann gingen vier, nur mein Beaglerüde Meier, der ganz dicke mit Uwe war, legte sich zu ihm auf den Boden, den Kopf auf seinem Bauch, ihm ins Gesicht schauend, wie er das jede Nacht im Bett gemacht hat. Er lag da bestimmt fünf Minuten lang regungslos, bevor er mit einem tiefen Seufzer aufstand, sich schüttelte und ging. Das war der Moment, in dem ich die Hunde beneidete, weil ich wusste, dass sie Abschied genommen haben, und dass das Leben für sie ab diesem Moment vorwärts weitergeht. Und so war es auch – sie waren keinen Moment „auf dem Sprung“ und bei jedem Geräusch an der Türe, wie sie es sonst immer waren, wenn einer von uns nicht da war. Danach konzentrierten sie sich voll auf die Aufgabe, ihre Menschin irgendwie aufzumuntern, jeder auf seine Art.

Ähnlich haben sie sich sechs Wochen später auch vom Dönertier verabschiedet …

Ich kann also die Frage, ob sich Hunde von anderen Hunden oder einem Menschen verabschieden sollten, nur mit einem absolut überzeugten „ja!“ beantworten.

Wenn der Mensch stirbt

Wichtig ist mir, aufgrund eigener, aktueller Erfahrungen, auch auf einen weiteren Punkt im Zusammenhang mit dem „Abschied für immer“ hinzuweisen: manchmal überleben Hunde ihre Menschen doch, auch wenn der Plan ein anderer ist. Als mein Lebensgefährte starb, war ich noch da, um mich um unsere Hunde zu kümmern. Während des Schreibens dieses Artikels lag ich aber mit einem Darmverschluss mit ungewissem Ausgang im Krankenhaus. Zum Glück hat mein bester Freund meine Hunde abgeholt und sich während meines Klinikaufenthaltes um sie gekümmert, denn vier Hunde von einer Minute auf die andere unterzubringen, ist nicht einfach. In der Klinik stellte sich aber auch die Frage, was mit den Hunden im Falle eines Falles passiert. Eine Frage, die ich zwar vorab geklärt hatte, die ich aber im Akutfall nochmal absichern wollte. Mein Plan war noch aktuell, auf meine Freunde war Verlass. Das beruhigte mich ungemein! Denn diese Frage sollte auf jeden Fall zu jedem Zeitpunkt geklärt sein, wenn man Haustiere hat, weil Leben eben das ist, was passiert, während wir Pläne machen, und weil der Tod sich vorher oft nicht anmeldet und um einen Gesprächstermin bittet…

Nun bleibt mir nur, die Zugaben, die die Beagleoma mir schenkt, in vollen Zügen zu genießen und irgendwann den Augenblick nicht zu verpassen – auch wenn wir beide vertraglich vereinbart haben, dass das noch mindestens fünf Jahre dauert. Aber wer weiß, ob die demente Beagleoma sich noch an die Vertragsdetails erinnert? Und ich werde sie im richtigen Moment ziehen lassen, jedenfalls habe ich ihr das versprochen! Und eines ist sicher: meine Andra wird man niemals auf irgendeiner kitschigen Regenbogenbrücke antreffen, sie wird standesgemäß in die ewigen Jagdgründe übersiedeln.

Und wieder wird der Tod ein Lebens-Abschnitt sein, aber einer, mit dem ich bei einem alten Hund meinen Frieden gemacht habe …

(Alle Rechte am Text und am Foto bei Sophie Strodtbeck)